Jährlich erkrankt in Deutschland circa einer von 100.000 Erwachsenen an der akuten lymphoblastischen Leukämie (ALL). Bei Kindern ist die Zahl der Neuerkrankungen mit 500 bis 600 Fällen im Jahr deutlich höher. ALL ist die akute Form der Leukämie, bei der die Vorläufer der Lymphozyten – die zellulären Bestandteile des Bluts, die auch Teil des Immunsystems sind – bösartig entarten und sich unkontrolliert vermehren. Das bewirkt dann eine verminderte Funktion des Knochenmarks und eine geschwächte Blutbildung. Unbehandelt führt die ALL binnen weniger Wochen zum Tod.
Umfassende Studie durchgeführt
Dr. Nicola Gökbuget vom Universitätsklinikum Frankfurt hat eine internationale Studie mit einer neuen Behandlungsmethode der ALL mit dem Medikament Blinatumomab geleitet, die vom Hersteller des Medikaments organisiert wurde. Die Veröffentlichung der Ergebnisse wurde nun von den Herausgebern der Fachzeitschrift Blood – das meistzitierte, expertenbegutachtete Journal der Hämatologie der American Society of Hematology – unter die zehn besten Veröffentlichungen 2018 gewählt. „Diese Auszeichnung ehrt uns sehr. Die überzeugende anti-leukämische Wirkung des Medikaments Blinatumomab bei Patienten mit minimaler Resterkrankung schafft uns neue Möglichkeiten, die Behandlungsergebnisse bei erwachsenen ALL-Patienten zu verbessern“, freut sich Dr. Gökbuget.
Gezielte Zerstörung der Krebszellen
Blinatumomab ist ein künstlich hergestellter Antikörper, der aus zwei unterschiedlichen Proteinen besteht. Diese richten sich auf einen bestimmten Abschnitt der Tumorzelle auf der einen Seite und binden an körpereigene Immunzellen, die sogenannten T-Zellen auf der anderen Seite. Beide Zellen sind dann verknüpft und die Leukämiezellen können gezielt vernichtet werden. Aufgrund seiner Zusammensetzung aus zwei Antikörpern wird er auch BiTE-Antikörper – kurz für bi-specific T-cell engager – genannt.
Minimale Resterkrankung bei ALL
Bei der ALL kann mit speziellen Verfahren die Erkrankung auf sehr niedrigem Niveau gemessen werden. Nach der initialen Therapie sind meist in der mikroskopischen Untersuchung keine ALL-Zellen mehr nachweisbar. Mit Verfahren zur Messung der minimalen Resterkrankung (MRD) kann jedoch ein Anteil von 0,01 Prozent Leukämiezellen im Knochenmark noch nachgewiesen werden. Arbeiten der deutschen ALL-Studiengruppe unter Leitung von Dr. Gökbuget haben gezeigt, dass Patienten mit minimaler Resterkrankung häufig einen Rückfall der Erkrankung erleiden und dass weitere Chemotherapie häufig keinen Erfolg bringt. Deshalb ist die Untersuchung zielgerichteter Therapien bei den betroffenen Patienten besonders wichtig.
Eine Alternative zur Chemotherapie?
Die intravenöse Behandlung mit Blinatumomab ist in dieser Situation eine Alternative zur konventionellen Chemotherapie. Sie ist seit November 2015 in der EU als erster therapeutisch verwendeter BiTE-Antikörper für ALL mit einem Rückfall der Erkrankung zugelassen.
78 Prozent krebsfrei
Die Studie unter Leitung von Dr. Gökbuget hat die neuartige Therapie in einer ersten internationalen Multicenter-Studie an 46 Standorten in Europa und Russland getestet. Alle Patienten waren in vollständiger Remission; das heißt, es waren keine Leukämiezellen mehr mikroskopisch nachweisbar. Allerdings waren alle Patienten MRD-positiv und damit einem hohen Rückfallrisiko ausgesetzt.
Den Patienten wurden über bis zu vier Zyklen von je 28 Tagen 15 µg/m² Blinatumomab täglich verabreicht. Zwischen den Zyklen hatten die Patienten eine zweiwöchige Behandlungspause. Obwohl die Patienten in der Studie im Vergleich zu Vorläuferstudien eine höhere MRD-Positivität aufwiesen und bei 35 Prozent der MRD-Nachweis nach vorherigem Rückfall erfolgte, zeigen die Ergebnisse bei 78 Prozent der 113 Patienten eine vollständige Eliminierung der verbliebenen Krebszellen nach dem ersten Zyklus. Nach Zyklus 2 hatten zwei weitere Patienten diesen Status erreicht.
Längere Gesamtüberlebenszeit
MRD-frei kann die Krankheit mit höherer Wahrscheinlichkeit langfristig ohne Rezidive kontrolliert werden. Die Gesamtüberlebensrate ist dann höher. Bei den MRD-negativen Patienten lag sie bei knapp über drei Jahren. Patienten, bei denen die Therapie nicht angeschlagen hatte, lebten im Vergleich nur noch knapp ein Jahr. Erfolgreich therapierte Patienten blieben länger ohne Rezidiv: 23,6 Monate gegenüber 5,7 Monaten.
Vergleichsweise geringe Nebenwirkungen
Zudem fielen die Nebenwirkungen der Blinatumomab-Therapie moderat aus. Zu den relevanten Effekten gehören neurologische Nebenwirkungen bei zehn bis 15 Prozent der Patienten. Ihnen konnte vollständig durch eine Behandlungsunterbrechung und eine geeignete Therapie begegnet werden. Auch das sogenannte Zytokin-Freisetzungssyndrom (CRS), das in Vorläuferstudien eine der häufigsten Nebenwirkungen war, spielte eine vergleichsweise geringe Rolle. Somit konnte die Studie von Dr. Gökbuget zusammenfassend zeigen, dass sich die Lebenszeit von MRD-positiven Patienten mit der Vorläufer-B-Zell-ALL bei Ansprechen auf Blinatumomab verlängert. Die Ergebnisse mit Blinatumomab bei MRD-positiven Patienten sind auch deutlich besser, als wenn das Medikament im vollen Rezidiv eingesetzt wird.
Expertin für Hämatologie und Onkologie
Dr. Gökbuget ist Leiterin der Studienzentrale der Medizinischen Klinik II am Universitätsklinikum Frankfurt. Ihr Forschungsschwerpunkt ist die klinische Forschung bei ALL. Sie ist Koordinatorin der multizentrischen Studiengruppe für die ALL bei Erwachsenen (GMALL) mit über 100 teilnehmenden Kliniken.
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